Verstoß: Unberechtigte Datenweiterleitung an den Arbeitgeber
-
BeschreibungDer Kläger befand sich in der praktischen Ausbildung zum Apotheker. Aufgrund einer Allergie brachte er seine Bedenken gegen die Baumaßnahmen in seiner Ausbildungs-Apotheke gegenüber der Mitarbeiterin des zuständigen Amtes zum Ausdruck. Diese leitete die E-Mail des Klägers an dessen Arbeitgeber weiter.
-
AktenzeichenOLG Stuttgart, Urteil vom 17.05.2023 - 4 U 193/22
-
Kategorie(n)Arbeitnehmer, Sonstige Probleme
-
Betrag750 €
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
-
Ähnliche Urteile
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25.11.2022, Az. 7 O 74/22, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a) Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 750,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit 02.02.2022 zu zahlen.
b) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 86 %, das beklagte Land 14 %.
4. Dieses Urteil ist für beide Parteien vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.500,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
1.
Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und den Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsverfolgungskosten wegen behaupteter Amtspflichtverletzung des beklagten Landes in Gestalt eines Verstoßes gegen die DS-GVO.
Der Kläger ist Pharmazeut und als Apotheker tätig. Im Juni 2018 befand er sich im 3. Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung Frühjahr 2019.
Das Regierungspräsidium Stuttgart (RPS) - dort das Referat 95 „Landesprüfungsamt für Medizin und Pharmazie“ - hat als zuständige Behörde die praktische Ausbildung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 ApprobationsO für Apotheker (AAppO) zu überwachen und die ordnungsgemäße Durchführung sicherzustellen.
Der Kläger leidet an MCS (Multiple Chemikalien-Sensitivität), reagiert also stark auf verschiedene Chemikalien, Staub, Ausdünstungen usw., insbesondere von Baumaterialien. Dabei genügt es, dem Staub oder den Ausdünstungen der Chemikalien ausgesetzt zu sein bzw. den Kleinstteilen, die sich im (Haus-)Staub einlagern. Symptomatisch äußert sich dies in Haarausfall, Übelkeit, Konzentrationsproblemen, Müdigkeit, Schwindel, Veränderungen des Blutbildes, Bindehautentzündung der Augen, allgemeinen Entzündungen sowie Herzrhythmus- und Schlafstörungen.
Ab dem 14.05.2018 absolvierte der Kläger seine praktische Ausbildungsstation in der S...-A... in H..., deren Inhaber Herr K... R... ist. Schon zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses stand fest, dass in der Apotheke Baumaßnahmen durchgeführt werden sollen. Dem Kläger wurde von Herrn R... zugesagt, dass die gesundheitlichen Aspekte hinreichend berücksichtigt würden und dass er die entsprechenden Bereiche meiden könne (Bl. 34 LGA).
Nach Beginn der Baumaßnahmen im Juni 2018 und einer damit verbundenen Baustaubentwicklung plante der Kläger, seine Ausbildungsstätte zu wechseln, und richtete mit Schreiben vom 24.06.2018 ein entsprechendes Begehren an das RPS. Das Schreiben vom 24.06.2018 sandte er auch per E-Mail am 25.06.2018 um 01:10 Uhr (Anl. K 1.3 1.4 LGA) und per Fax am 25.06.2018 um 01:11 (Anl. K 2.5 - 2.6 LGA) an die zuständige Mitarbeiterin des RPS, Frau M....
Das Schreiben/die E-Mail/das Fax lautet:
„R... M... G... X
7... B...
E-Mail:
Regierungspräsidium Stuttgart
Landesprüfungsamt für Medizin und Pharmazie Referat 92
Nordbahnhofstraße 135
70191 Stuttgart
B..., den 24.06.2018
Betr.: Wechsel der Ausbildungsstätte im praktischen Jahr
Sehr geehrte Frau M...,
wie mit Ihnen telefonisch vereinbart, möchte ich Ihnen hier noch einmal meine momentane Situation und der Grund für den erbetenen Apothekenwechsel schildern:
Seit Montag, den 14.05.2018 arbeite ich im 1. Halbjahr des praktischen Jahres in der S...-A... in H.... Nun haben dort vor ungefähr einer Woche umfangreiche Umbauarbeiten begonnen, die wohl noch mehrere Monate anhalten werden. Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten bin ich vermehrt Gipsstaub, Abdeckfolien, etc. ausgesetzt, die das für mich unverträgliche Ethylen-Vinylacetat (EVA) enthalten, sodass bei mir bereits jetzt die ersten Krankheitssymptome aufgetreten sind. Da das Ende der Bauphase nicht absehbar ist, möchte ich die Apotheke wechseln.
Voraussichtlich könnte ich das Praktikum bei Herrn K... in der S...-A... H... zu Ende zu führen. Ich könnte dort vermutlich am 1. Juli 2018 beginnen, direkt im Anschluss an meinen letzten Arbeitstag in der S...-A.... Wäre das aus Ihrer Sicht möglich?
Das Attest für meine Allergie auf EVA, ein Attest meines Hausarztes bzgl. der aktuellen Gesundheitslage sowie das Gutachten des Prof. H... meine Allergie betreffend lege ich bei.
Ich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn Sie mich aufgrund der Umstände, baldmöglichst - gerne vorab per E-Mail oder Fax - benachrichtigen würden.
Mit freundlichen Grüßen
Rxx M...“
Auf dem Briefkuvert (Anl. K 2.7 LGA) war folgendes vermerkt:
„vertrauliche Arztsache
darf nur durch Frau M... geöffnet werden“
Diese E-Mail des Klägers vom 25.06.2018 um 01:10 Uhr (Anl. K 1.3 - 1.4 LGA) leitete Frau M... am selben Tage um 14:18 Uhr (Anl. K 1.2 - 1.3 LGA) an Herrn R... von der S...-A... weiter, mit der Bitte um Stellungnahme, wobei der Kläger in „cc“ gesetzt war.
Herr R... antwortet per E-Mail am 25.06.2018 um 15:27 Uhr (Anl. K 1.1 - 1.2 LGA) und teilte folgendes mit:
„Sehr geehrte Frau M...,
ja, wir bauen etwas um. Momentan werden die Räumlichkeiten über der Apotheke entsprechend vorbereitet. Das heißt, es gibt außer den Bohrgeräuschen noch keinerlei Beeinträchtigungen. Wenn die Wohnung oben saniert ist, wird eine interne Treppe installiert. Dann ist der Umbau für dieses Jahr abgeschlossen. Das ist eine konzertierte Aktion.
Die Arbeiten bei den es sehr stark stauben wird, werden währen der Urlaubszeit von Herrn M... ausgeführt (er ist mit einem Stipendium 2 Wochen in Südafrika und hat da entsprechend Urlaub).
Ich habe ihm gerade nochmal den Zeitplan erklärt und ihn gefragt, ob er irgendwelche Beeinträchtigungen spüre. Dem ist nicht so und er war erleichtert als er gesehen hat, dass wir nicht das komplette nächste Jahr in einer Baustelle arbeiten (wäre natürlich schon katastrophal).
Insofern glaube ich, die Belastung für den Herr M... auf ein absolutes Mindestmaß reduzieren zu können und sehe keine Notwendigkeit für einen Apothekenwechsel. Allerdings muss er das selbst entscheiden. Bei dem gerade stattgefundenen Gespräch hat dies ebenso gesehen. Insofern denke ich, dass alles so bleiben kann.
Falls es dennoch ein allergisches Problem geben sollte, werden wir sofort aktiv und ich kann ihm innerhalb kürzester Zeit an einen Kollegen vermitteln.
Ich schicke diese Mail auch an den Herrn M.... Danke und mit freundlichen Grüßen,
- R...“
Frau M... teilte daraufhin dem Kläger per E-Mail vom 26.06.2018 um 11:29 Uhr (Anl. K 1.5) mit:
„Sehr geehrter Herr M...,
für Ihre Anfrage haben wir Herrn R..., Inhaber der S...-A... um Stellungnahme gebeten.
Laut seiner Stellungnahme kann die Belastung der Baustelle auf ein Mindestmaß reduziert werden und das mit Ihnen stattgefundene Gespräch hat ergeben dass in diesem Fall ein Apothekenwechsel dadurch nicht notwendig sei.
Somit hat sich Ihre Anfrage bzgl. der Notwendigkeit eines Apothekenwechsels erledigt.
Mit freundlichen Grüßen
R... M... [...]“
Ein Wechsel der Ausbildungsstätte ohne Genehmigung des Landesprüfungsamts war dem Kläger nicht möglich, da er ansonsten die im Rahmen dieses Ausbildungsabschnitts bereits geleisteten Zeiten hätte wiederholen müssen und sich das 3. Staatsexamen um mindestens 6 Monate verschoben hätte. Er setzte seine praktische Ausbildung zunächst in der S...-A... fort, was nur eingeschränkt möglich war, da er den für ihn gesundheitsschädlichen Baustoffen ausgesetzt war. Nach sechs Monaten kündigte er schließlich bei Herrn R... und absolvierte das restliche Praktikum in K... in der Pharmaindustrie (Bl. 94 d.A. LGA).
Der Kläger war der Ansicht, dass Frau M... eine Amtspflicht verletzt habe, indem sie ohne Einholen seiner Einwilligung sensible personenbezogene (Gesundheits-)Daten i.S.d. DS-GVO an den damaligen Arbeitgeber des Klägers weitergeleitet habe. Dies stelle eine erhebliche Verletzung des Daten- und Persönlichkeitsrechts dar. Das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung, Integrität der Persönlichkeit, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und der Schutz seiner Daten sei damit pflichtwidrig unterminiert worden. Dies stelle eine Verletzung seiner Grundfreiheiten und Grundrechte dar. Ihm stehe daher Schadensersatz und Schmerzensgeld nach Art. 82 DS-GVO zu, wobei ein Betrag i.H.v. € 5.500,00 angemessen sei.
Das beklagte Land hat vorgetragen, ein etwaiger Anspruch des Klägers sei verjährt. Der Mahnbescheid vom 28.01.2022 habe die Verjährung nicht gehemmt, da dieser erst am 01.02.2022 und damit nicht mehr „demnächst“ i.S.d. § 167 ZPO zugestellt worden sei. Ohnehin sei eine etwaige Datenverarbeitung i.S.d. DS-GVO rechtmäßig gewesen, weshalb ein Verstoß gegen die DS-GVO nicht vorliege und eine Amtspflichtverletzung nicht gegeben sei. Zudem fehle es an der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität bezüglich eines Schadens, da der damalige Arbeitgeber des Klägers bereits vor der Weiterleitung der E-Mail von den gesundheitlichen Problemen des Klägers gewusst habe.
2.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus:
Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land weder nach Art. 82 DS-GVO noch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu, denn es fehle jedenfalls an der Kausalität zwischen einer möglichen Pflichtverletzung und einem Schaden. Dem damaligen Arbeitgeber des Klägers sei bereits vor der streitgegenständlichen Weiterleitung der Email bekannt gewesen, dass der Kläger die in der Mail angesprochenen gesundheitliche Probleme habe. Dass dieser Email tatsächlich ärztliche Atteste angehängt waren, habe der Kläger weder ausreichend dargetan noch bewiesen. Die diesbezüglich angebotene Zeugenvernahme seiner Mutter stelle einen Ausforschungsbeweis dar. Auf die „Ablehnung“ des Wechselwunsches des Klägers durch das RPS hätte der Kläger zudem durch einen Widerspruch reagieren können, so dass ein Amtshaftungsanspruch insoweit auch an § 839 Abs. 3 BGB scheitere.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zu den Feststellungen des Landgerichts wird auf das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25.11.2022 (Bl. 3 ff. d. eA) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 29.11.2022 zugestellte Urteil am 12.12.2022 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist fristgerecht am 19.01.2023 beim Oberlandesgericht Stuttgart eingegangen.
3.
Der Kläger verfolgt mit der Berufung die beantragte Verurteilung des beklagten Landes weiter. Er rügt die Tatsachenfeststellung des Landgerichts als fehlerhaft und die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:
Das Landgericht habe fälschlicherweise festgestellt, dass der weitergeleiteten E-Mail keine Atteste angehängt gewesen seien. Es hätte diesbezüglich die Mutter des Klägers aus Zeugin vernehmen müssen. Diese könne nämlich zur Klärung beitragen, da der Kläger und seine Mutter die Verfahrenspraxis pflegten, gegenseitig wichtige Emails vor Absendung zu korrigieren und kontrollieren (auch auf Anhänge hin).
Das Landgericht habe die Rechtsnorm Art. 82 DS-GVO nicht richtig angewandt. Allein der Kontrollverlust infolge der Weiterleitung der E-Mail des Klägers an das RPS stelle einen immateriellen Schaden dar. Es komme insoweit auch nicht darauf an, ob die ärztlichen Atteste der E-Mail angehängt gewesen seien.
Dass im Vorfeld über „Umbaumaßnahmen und Baustaub“ gesprochen wurde, die er habe meiden wollen, impliziere auf Seiten des Apothekers R... keinen konkreten Kenntnisstand über seine gesundheitlichen Probleme bzw. über „konkrete Krankheiten“. Ausweislich der Feststellungen im landgerichtlichen Urteil habe die E-Mail vom 25.06.2018 jedenfalls die über den bisherigen Kenntnisstand des Arbeitgebers hinausgehende Information enthalten, gegenüber welchem Stoff er allergisch reagiere und dass bereits erste Krankheitssymptome aufgetreten seien.
Durch die Weiterleitung der E-Mail an seinen damaligen Arbeitgeber seien diesem zudem weitere neue Daten inhaltlich bekannt geworden, insbesondere sein Wechselwunsch. Gerade der Kontrollverlust über diese Information habe zu einer Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses geführt, was bei ihm eine psychische Belastung und das Gefühl der Hilflosigkeit hervorgerufen habe.
Das Landgericht verkenne das weite Kausalitätsverständnis der DS-GVO sowie das Vorliegen einer rechtswidrigen Datenverarbeitung, da die Email ohne seine Einwilligung weitergeleitet worden sei. Dadurch, dass das Landgericht seinen Anspruch durch Einengung des Kausalitäts- wie auch Schadensbegriffs entgegen dem Verordnungswortlaut und der bisherigen EuGH-Rechtsprechung einenge, verstoße es gegen seinen Anspruch auf den gesetzlichen Richter, wenn es nicht zuvor eine Entscheidung des EuGH zur Auslegung einhole.
Der Kläger beantragt:
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart, Az. 7 O 74/22, vom 25.11.2022:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 507,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Das beklagte Land verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus:
Das Landgericht habe einen Schadensersatzanspruch des Klägers zu Recht verneint. Ein bloßer Verstoß gegen die DS-GVO - der hier ohnehin nicht vorliege - reiche für einen Anspruch nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO gerade nicht aus, vielmehr müsse auch tatsächlich ein Schaden erlitten worden sein. Ein kausaler Schaden liege hier aber nicht vor.
Schon aus dem klägerischen Vortrag ergebe sich, dass der damalige Arbeitgeber schon vor Weiterleitung des fraglichen Mails bereits von gesundheitlichen Problemen des Klägers gewusst habe. Damit seien durch die Weiterleitung der E-Mail keine neuen Informationen - und mithin keine neuen personenbezogenen Daten - an den Arbeitgeber des Klägers übermittelt worden.
Weder die Ausgangsmail des Klägers noch die Weiterleitung hätten Anhänge enthalten. Dies ergebe sich aus den vom Kläger selbst vorgelegten Anlagenkonvolut. Es fehle bei den E-Mails an dem Büroklammersymbol, welches anzeige, dass eine E-Mail Anhänge enthalte. Die Vernahme der Mutter des Klägers könne einen solchen Beweis nicht erbringen, da diese jedenfalls nichts dazu aussagen könne, ob diese angeblichen Anhänge auch der durch Frau M... an den Arbeitgeber weitergeleiteten E-Mail beigefügt wurden. Nur auf Letztere käme es jedoch an. Ob die ursprüngliche Mail des Klägers Anhänge enthalten habe, könne aber ohnehin dahinstehen.
Dem Kläger sei kein Schaden entstanden, weder durch den in der Folge unterbliebenen Wechsel noch durch den behaupteten Kontrollverlust. Ein Zeitverlust bzw. ein Schwebezustand wie in der vom Kläger zitierten Rechtsprechung habe aufgrund der schnellen zeitlichen Abfolge gerade nicht bestanden. Auch habe kein Kontrollverlust in der Weiterleitung der E-Mail gelegen, da darin keine neuen Informationen enthalten gewesen seien. Es sei auch nicht auf den Umstand der Weiterleitung des Mails an sich abzustellen, da ansonsten jede weitergeleitete Mail einen Schadensersatz hervorrufen würde. Dies sei aber nicht Ziel und Zweck der DS-GVO.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien in zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2022 (Bl. 54 d. eA.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist teilweise begründet. Der Kläger hat gegen das beklagte Land zwar keinen Schadensersatzanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, jedoch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere auch hinsichtlich eines Anspruchs aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt insoweit aus Art. 82 Abs. 6, 79 Abs. 2 DS-GVO.
2. Der Kläger hat gegen das beklagte Land einen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO. Nach dieser Vorschrift hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.
a) Die DS-GVO ist auf den vorliegenden Fall anwendbar.
aa) Der zeitliche Anwendungsbereich ist eröffnet, da sich der streitgegenständliche Vorfall nach dem 25.05.2018 ereignet hat, Art. 99 Abs. 2 DS-GVO.
bb) Auch der sachliche Anwendungsbereich der DS-GVO ist eröffnet.
Gemäß Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gilt diese für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. In der vom RPS an den damaligen Arbeitgeber des Klägers weitergeleiteten E-Mail des Klägers sind personenbezogene Daten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO enthalten (Name, Geburtsdatum, Anschrift, E-Mail-Adresse, Wechselwunsch) sowie Gesundheitsdaten des Klägers im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO (Unverträglichkeit/Allergie hinsichtlich Ethylen-Vinylacetat (EVA)). Die Übermittlung dieser Daten durch Weiterleitung der E-Mail an Herrn R... stellt eine Verarbeitung im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DS-GVO dar.
Dem Kläger ist dagegen der Beweis, dass der weitergeleiteten Email die in der Nachricht erwähnten ärztlichen Atteste beigefügt waren, nicht gelungen. Weder die Ausgangs-E-Mail des Klägers, noch die weitergeleitete Email enthalten das Symbol der Büroklammer, die beigefügte Anhänge anzeigt. Dies lässt den Rückschluss zu, dass der Email auch keine Anhänge beigefügt waren. Zu Recht hat das Landgericht in diesem Zusammenhang von der Zeugenvernehmung der Mutter des Klägers abgesehen. Denn das diesbezügliche Beweisangebot des Klägers ist untauglich, da die Mutter des Klägers allenfalls eine Aussage dazu treffen könnte, ob der Email des Klägers an Frau M... (RPS) die genannten Atteste beigefügt waren, nicht aber, ob dies auch bei der Email von Frau M... an den damaligen Arbeitgeber des Klägers der Fall gewesen ist; nur letzteres wäre aber von Bedeutung.
cc) Art. 82 DS-GVO, der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar gilt, wird auch nicht durch § 839 BGB verdrängt.
Zwar verdrängt § 839 BGB in seinem Anwendungsbereich konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB sowie Ansprüche außerhalb des BGB, die Verschulden oder vermutetes Verschulden voraussetzen (BGH, Urteil vom 06.06.2019 - III ZR 124/18, juris Rn. 10 m. w. N.; Wöstmann, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2020, § 839 Rn. 34). Der Grund hierfür ist aber in erster Linie in Art. 34 S. 1 GG zu sehen, wonach für den durch eine Amtspflichtverletzung eines Amtsträgers verursachten Schaden der Staat oder die Körperschaft haftet, in deren Dienst er steht, nicht aber der Amtsträger selbst. Insoweit wird auch das durch §§ 823 ff. BGB begründete Schutzniveau durch diese Verdrängung nicht beeinträchtigt; die Begehung eines Deliktstatbestands durch einen Amtsträger im Rahmen der Amtsausübung ist zugleich eine Amtspflichtverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2002 - III ZR 122/02, juris Rn. 9; Wöstmann, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2020, § 839 Rn. 34; Dörr, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, Stand 01.08.2022, § 839 BGB Rn. 31).
Der Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ist aber auch dann, wenn er sich gegen eine Behörde richtet, kein Anspruch aus der Verletzung einer Amtspflicht im Sinne von Art. 34 S. 1 GG, da es sich hierbei nicht um eine auf die Anstellungskörperschaft übergeleitete Haftung eines Amtsträgers handelt, sondern um eine originäre Haftung der Behörde selbst. Denn durch Art. 34 S. 1 GG wird der Staat zwar zum Haftungssubjekt, nicht aber zum Zurechnungssubjekt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.10.1982 - 2 BvF 1/81, juris Rn. 139). Der Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO richtet sich aber gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter. Verantwortlicher ist gemäß Art. 4 Nr. 7 DS-GVO die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über Zweck und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Auftragsverarbeiter ist gemäß Art. 4 Nr. 8 DS-GVO eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeitet. Die Begriffe des Verantwortlichen und des Auftragsverarbeiters sind daher institutionell zu verstehen. Werden in einer Behörde Daten verarbeitet, ist damit nicht der jeweilige Amtsträger persönlich Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DS-GVO und damit auch nicht Adressat des Anspruchs. Dieser richtet sich vielmehr unmittelbar gegen den Staat bzw. die jeweilige Anstellungskörperschaft (vgl. BFH, Beschluss vom 28.06.2022 - II B 92/21, juris Rn. 18).
Gemäß Erwägungsgrund 146 S. 4 zur DS-GVO gilt Art. 82 DS-GVO im Übrigen unbeschadet von Schadensersatzforderungen aufgrund von Verstößen gegen andere Vorschriften des Unionsrechts oder des Rechts der Mitgliedstaaten. Der Anspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG kommt daher neben einem Anspruch aus Art. 82 DS-GVO in Betracht, der keine abschließende Regelung darstellt, verdrängt diesen aber nicht (vgl. Frenzel, in: Paal/Pauly, DS-GVO, BDSG, 3. Auflage 2021, Art. 82 DS-GVO Rn. 20; Gola/Piltz, in: Gola/Heckmann, DS-GVO - BDSG, 3. Auflage 2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 27; Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 8; Schaffland/Holthaus, in: Schaffland/Wiltfang, DS-GVO/BDSG, Stand: August 2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 36; Bergt, in: Kühling/Buchner, DS-GVO, BDSG, 3. Auflage 2020, Art. 82 DS-GVO Rn. 67; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021 - 16 U 275/20, juris Rn. 69; KG, Beschluss vom 02.02.2021 - 9 W 1117/20, juris Rn. 44). Eine derartige Verdrängung des Anspruchs aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO wäre auch mit dem in Art. 4 Abs. 3 EUV zum Ausdruck kommenden Grundsatz, wonach den Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts eine möglichst optimale Wirkungskraft zukommen muss ("effet utile"), nicht in Einklang zu bringen (OLG Hamm, Urteil vom 20. Januar 2023 – I-11 U 88/22, juris).
b) Der Kläger ist für den geltend gemachten Anspruch aktivlegitimiert. Denn anspruchsberechtigt ist nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO ein Schaden entstanden ist.
c) Das beklagte Land ist als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DS-GVO passivlegitimiert im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO.
d) Es liegt auch ein Verstoß gegen die DS-GVO im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO vor.
aa) Es liegt ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 DS-GVO vor.
Nach dieser Vorschrift ist die Verarbeitung von Gesundheitsdaten untersagt, sofern nicht eine Ausnahme nach Art. 9 Abs. 2 DS-GVO vorliegt. Gesundheitsdaten sind gemäß Art. 4 Nr. 15 DS-GVO personenbezogene Daten, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand hervorgehen. Gemäß Erwägungsgrund 35 S. 1 zur DS-GVO sollen hierzu alle Daten gehören, die sich auf den Gesundheitszustand der betroffenen Person beziehen und aus denen Informationen über den früheren, gegenwärtigen und künftigen körperlichen oder geistigen Gesundheitszustand hervorgehen. Anknüpfungspunkt ist damit der Gesundheitszustand, nicht aber die Krankheit einer Person, weshalb auch die Feststellung, dass eine Person genesen oder überhaupt völlig gesund ist, vom Begriff der Gesundheitsdaten erfasst wird (Weichert, in: Kühling/Buchner, DS-GVO, BDSG, 3. Auflage 2020, Art. 4 Nr. 15 DS-GVO Rn. 1).
Gesundheitsdaten sind hier die Informationen über die Unverträglichkeit hinsichtlich Ethylen-Vinylacetat (EVA) und die Allergie auf EVA.
Eine Ausnahme im Sinne von Art. 9 Abs. 2 DS-GVO greift vorliegend nicht ein. Weder lag eine Einwilligung des Klägers im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a) DS-GVO vor, noch war die Verarbeitung in Gestalt der Übermittlung als Anhang zu der E-Mail für einen der in Art. 9 Abs. 2 lit. b) bis j) DS-GVO genannten Zwecke erforderlich.
bb) Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 lit. a) DS-GVO ist hingegen nicht gegeben, denn die Verarbeitung der in der weitergeleiteten Email enthaltenen personenbezogenen Daten des Klägers (Name, Geburtsdatum, Anschrift, E-Mail-Adresse, Wechselwunsch) war zu dem in Art. 6 Abs. 1 lit. c) und e) DS-GVO genannten Zweck erforderlich und damit rechtmäßig.
Das Regierungspräsidium Stuttgart (RPS) - dort das Referat 95 „Landesprüfungsamt für Medizin und Pharmazie“ - hat als zuständige Behörde die praktische Ausbildung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 ApprobationsO für Apotheker (AAppO) zu überwachen und die ordnungsgemäße Durchführung sicherzustellen. In diesem Zusammenhang war das RPS berechtigt und verpflichtet, Herrn R... als praktischen Ausbilder des Klägers zu dessen Wechselwunsch anzuhören. Die gem. Art. 6 Abs. 3 DS-GVO für die entsprechende Datenverarbeitung erforderliche Rechtsgrundlage findet sich in §§ 4, 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 LDSG.
e) Die Beklagte ist nicht gemäß Art. 82 Abs. 3 DS-GVO von der Haftung befreit.
Gemäß Art. 82 Abs. 3 DS-GVO wird der Anspruchsverpflichtete von der Haftung befreit, wenn er in keinerlei Hinsicht für den schadensverursachenden Umstand verantwortlich ist. Verantwortung ist hier das Verschulden im Sinne der deutschen Rechtsterminologie und nicht die datenschutzrechtliche Verantwortung (LG Mainz, Urteil vom 12.11.2021 - 3 O 12/20, juris Rn. 73 - nicht rechtskräftig; Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 17 und 17.2; Geissler/Ströbel, in: NJW 2019, 3414 (3415)). Das Verschulden wird nach dem Wortlaut der Norm grundsätzlich vermutet. Um die Feststellung treffen zu können, der Verantwortliche sei "in keinerlei Hinsicht" verantwortlich, hat der Verantwortliche nachzuweisen, dass er alle Sorgfaltspflichten erfüllt hat und ihm damit nicht die geringste Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann (Schaffland/Holthaus, in: Schaffland/Wiltfang, DS-GVO/BDSG, Stand: August 2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 29). Dies wäre etwa der Fall, wenn von allen mit der Datenverarbeitung befassten Personen alle erforderlichen technischen und organisatorischen Datensicherungsmaßnahmen eingehalten wurden und es dennoch zu einem unbefugten Datenzugriff kommt (vgl. Bergt, in: Kühling/Buchner, DS-GVO, BDSG, 3. Auflage 2020, Art. 82 DS-GVO Rn. 54).
aa) Ein Verschulden des beklagten Landes ist gegeben. Im Hinblick auf den Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 DS-GVO liegt ein dem beklagten Land zuzurechnendes Verschulden der Mitarbeiterin des RPS, Frau M..., vor, die die E-Mail mit den Gesundheitsdaten des Klägers weitergeleitet hat. Die allgemeinen Grundsätze des § 278 BGB gelten auch hier (Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 20). Die Weiterleitung der E-Mail ist zumindest als fahrlässig im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB einzustufen. Für das Verhalten ihrer Mitarbeiter haftet das beklagte Land als Verantwortlicher, ohne sich entlasten zu können (vgl. Bergt, in: Kühling/Buchner, DS-GVO, BDSG, 3. Auflage 2020, Art. 82 DS-GVO Rn. 55; Nemitz, in: Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Auflage 2018, Art. 82 Rn. 20; Frenzel, in: Paal/Pauly, DS-GVO, BDSG, 3. Auflage 2021, Art. 82 DS-GVO Rn. 15).
bb) Soweit die Auffassung vertreten wird, Art. 82 Abs. 1 DS-GVO regle einen Fall verschuldensunabhängiger Haftung (vgl. etwa BAG, EuGH-Vorlage vom 26.08.2021 - 8 AZR 253/20 (A), juris Rn. 39), kommt es auf die Entscheidung dieser Frage für den vorliegenden Fall nicht an, da von einem fahrlässigen und damit auch schuldhaften Verstoß auszugehen ist.
f) Durch die Weiterleitung der Email mit den personenbezogenen Gesundheitsdaten ist dem Kläger auch ein immaterieller Schaden entstanden.
aa) Der Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ist - europarechtlich autonom und unter Berücksichtigung der in den Erwägungsgründen zur DS-GVO niedergelegten Zielsetzungen - weit auszulegen (OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2022 - 5 U 2141/21, juris Rn. 72; OLG Hamm, Urteil vom 20. Januar 2023 – I -11 U 88/22 –, Rn. 106, juris).
Nach dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO muss der Schaden "entstanden" sein. Dies gilt auch für einen immateriellen Schaden. Im Erwägungsgrund 146 S. 6 zur DS-GVO ist insoweit ausdrücklich von einem "erlittenen Schaden" die Rede. Der Schaden ist daher nicht mit der zugrunde liegenden Verletzung der DS-GVO gleichzusetzen (EuGH, Urteil vom 04.05.2023, C-300/21, Celex Nr. 62021CJ0300; OLG Hamm, Urteil vom 20.01.2023 – I-11 U 88/22 –, Rn. 107, juris OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2022 - 5 U 2141/21, juris Rn. 74; OLG Frankfurt, Urteil vom 02.03.2022 - 13 U 206/20, juris Rn. 70 f.; OLG Bremen, Beschluss vom 16.07.2021 - 1 W 18/21, juris Rn. 2; Buchner/Wessels, in: ZD 2022, 251 (254 f.)). Auch ein immaterieller Schaden muss daher konkret dargelegt werden (OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.08.2021 - 1 U 69/20, juris Rn. 3; OLG Bremen, Beschluss vom 16.07.2021 - 1 W 18/21, juris Rn. 2; LG Hamburg, Urteil vom 04.09.2020 - 324 S 9/19, juris Rn. 34; Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 23a).
bb) Allerdings sind die Voraussetzungen für einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes weder erschöpfend geklärt noch kann der Schaden in seinen einzelnen, für die Beurteilung eines im Verfahren vorgetragenen Sachverhalts notwendigen Voraussetzungen unmittelbar aus der DS-GVO bestimmt werden (BVerfG, Beschluss vom 14.01.2021 - 1 BvR 2853/19, juris Rn. 20).
Umstritten war insoweit die Frage, ob im Hinblick auf einen immateriellen Schaden eine Erheblichkeitsschwelle erreicht bzw. überschritten sein muss, ob der bloße Datenverlust an sich oder ein ungutes Gefühl ein ausreichender Schaden ist und ob sogenannte Bagatellschäden auszuschließen sind (so etwa OLG Dresden, Urteil vom 20.08.2020 - 4 U 784/20, juris Rn. 32; vgl. auch LG Saarbrücken, EuGH-Vorlage vom 22.11.2021 - 5 O 151/19, juris Rn. 51 ff.).
Nach dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO setzt die Zuerkennung eines Anspruchs wegen immaterieller Schäden nicht voraus, dass eine gewisse Erheblichkeitsschwelle erreicht oder überschritten ist. Die Norm enthält - wie auch die DS-GVO im Übrigen und die ihr vorangestellten Erwägungsgründe - keinen Hinweis darauf, dass geringfügige Schäden im Sinne von Bagatellschäden nicht auszugleichen wären (OLG Hamm, Urteil vom 20. Januar 2023 – I-11 U 88/22 –, Rn. 110, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2022 - 5 U 2141/21, juris Rn. 75; OLG Frankfurt, Urteil vom 02.03.2022 - 13 U 206/20, juris Rn. 72; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14.01.2021 - 1 BvR 2853/19, juris Rn. 21). In diesem Sinne hat nun auch der EuGH entschieden, dass der Ersatz eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO nicht davon abhängig ist, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat (EuGH, Urteil vom 04.05.2023, C-300/21, Celex Nr. 62021CJ030).
cc) Ungeachtet dessen, dass das Entstehen des Anspruchs nicht vom Erreichen oder Überschreiten einer Erheblichkeitsgrenze abhängig gemacht werden darf, muss die anspruchstellende Partei im Rechtsstreit die Entstehung eines materiellen oder immateriellen Schadens darlegen (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2021, 17 Sa 37/20; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21. Juni 2021 – 1 U 69/20 –, Rn. 20, juris).
Dem Kläger ist bereits durch die Weiterleitung der Email und die Bekanntgabe der Gesundheitsdaten an seinen damaligen Arbeitgeber ein immaterieller Schaden entstanden:
Ein immaterieller Schaden liegt zweifelsfrei vor, wenn ein den Betroffenen belastender rechtswidriger Kontrollverlust seiner personenbezogenen Daten eingetreten ist und sich zum Beispiel bereits in einer missbräuchlichen Verwendung der Daten realisiert hat. Denn in diesem Fall geht es nicht mehr nur um die bloße Sorge vor den Folgen eines Datenschutzverstoßes, vielmehr hat sich das in dem Datenschutzverstoß liegende Risiko hier bereits verwirklicht (OLG Hamm, Urteil vom 20. Januar 2023 – I-11 U 88/22 –, Rn. 113, 116, juris).
g) In der Höhe ist der dem Grunde nach zu bejahende Schadensersatzanspruch des Klägers allerdings auf einen Betrag von 750,00 € begrenzt.
aa) Bei der Bemessung der Schadenshöhe gelten die im Rahmen von § 253 BGB entwickelten Grundsätze; der Schaden ist nach § 287 ZPO zu schätzen (OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2022 - 5 U 2141/21, juris Rn. 81). Hierbei ist der Erwägungsgrund 146 S. 3 und 6 zur DS-GVO zu berücksichtigen, wonach der Begriff des Schadens auf eine Art und Weise auszulegen ist, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht und die betroffene Person einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten sollen. Ergänzend können auch in Art. 83 Abs. 2 DS-GVO genannte Kriterien herangezogen werden, obwohl diese Vorschrift nicht die Geltendmachung individueller Entschädigungsansprüche, sondern die Verhängung von Geldbußen betrifft. Dies gilt insbesondere für Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung von Art, Umfang oder Zweck der betreffenden Verarbeitung, den Grad des Verschuldens, Maßnahmen zur Minderung des entstandenen Schadens, frühere Verstöße sowie die Kategorie der betroffenen personenbezogenen Daten (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 20. Januar 2023 – I-11 U 88/22 –, Rn. 136, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021 - 16 U 275/20, juris Rn. 55 f.; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.04.2022 - 3 U 21/20, juris Rn. 56; Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 42. Edition, Stand 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO Rn. 31).
bb) Von besonderer Bedeutung für die Bestimmung des angemessenen Schadensersatzbetrags ist vorliegend die Natur der vom Datenschutzverstoß betroffenen Daten des Klägers. Denn es handelte sich dabei um Gesundheitsdaten, die bereits für sich genommen von besonderer Sensibilität sind, wie auch ihr datenschutzrechtlicher, berufsrechtlicher und strafrechtlicher Schutz vor unbefugter Offenbarung zeigt.
In der Höhe begrenzend wirkt sich bei der Bemessung des Schadensersatzanspruchs allerdings aus, dass der damalige Arbeitgeber des Klägers vor der Weiterleitung der E-Mail zwar keine genaue Ursache oder Diagnose der Krankheit gekannt, ihm aber zumindest bekannt war, dass der Kläger „Probleme mit Baustaub“ hat. Neben dieser „Vorkenntnis“ ist zu berücksichtigen, dass die Gesundheitsdaten nur einer einzigen Person zugänglich gemacht wurde, welche ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und dass der Kläger dadurch, dass er bei der Weiterleitung der E-Mail vom RPS an seinen damaligen Arbeitgeber in „cc“ gesetzt wurde, sofort von der Weiterleitung der E-Mail wusste und sich somit zu keiner Zeit in einer psychisch belastenden Ungewissheit hinsichtlich der Weitergabe seiner Daten befand.
cc) Nach alledem ist im vorliegenden Fall die Gewährung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 750,00 € angemessen, aber auch ausreichend. Einer im Rahmen des Schadensersatzes etwaig zu berücksichtigenden Abschreckungswirkung ist damit auch Genüge getan.
Der Schadenersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ist auch nicht verjährt, weil die Zustellung des Mahnbescheids „demnächst“ i.S.d. § 167 ZPO erfolgt ist.
a) Gem. § 214 Abs. 1 Nr. 2 BGB wird die Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids gehemmt. Nach § 167 ZPO tritt die Hemmung der Verjährung durch einen Mahnbescheid bereits mit Eingang des Mahnbescheidantrags ein, wenn dessen Zustellung demnächst erfolgt. Ob eine Zustellung demnächst erfolgt, hängt nicht allein von einer rein zeitlichen Betrachtungsweise ab. Ob eine Zustellung „demnächst“ im Sinn von § 167 ZPO erfolgt ist, beurteilt sich deshalb nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Danach soll die Partei bei der Zustellung von Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden. Dagegen sind der Partei die Verzögerungen zuzurechnen, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter (§ 85 Abs. 2 ZPO) bei gewissenhafter Prozessführung hätte vermeiden können. Eine Zustellung „demnächst“ nach Eingang des Antrags oder der Erklärung bedeutet daher eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan hat. Die Zustellung ist dagegen nicht mehr „demnächst“ erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges – auch leicht fahrlässiges – Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen hat. Dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu 14 Tagen sind regelmäßig „geringfügig“ und deshalb hinzunehmen. Das Merkmal „demnächst“ wird dadurch nicht in Frage gestellt (BGH NJW 2015, 3101 [3102 Rn. 15 und ständig]). Bei der Zustellung eines Mahnbescheids ist dagegen in Anlehnung an § 691 Abs. 2 ZPO noch eine Zustellung innerhalb eines Monats als „demnächst“ anzusehen (BGH, NJW-RR 2006, 1436). Kommt es nach einer angeforderten Mängelbehebung durch das Mahngericht zur Zustellung eines berichtigten Mahnbescheids, genügt es für die Hemmung der Verjährung und eine Zustellung demnächst, dass zwischen dem Zugang der Beanstandung und der Verbesserung bzw. Mängelbehebung ein Zeitraum von 1 Monat liegt (Seibel in Zöller, ZPO, 34. Aufl. § 691 Rn. 6 m.w.N.).
b) Der Kläger hat am 31.12.2021 beim Amtsgericht Stuttgart Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids gestellt, welcher am 28.01.2022 erlassen und am 01.02.2022 dem RPS zugestellt wurde. Mit Schreiben vom 04.01.2022 und Schreiben vom 14.01.2022 (vgl. Aktenausdruck Mahnverfahren, Bl. 1 ff. LGA) hat das Amtsgericht Stuttgart beim Prozessbevollmächtigten des Klägers unterschiedliche Punkte moniert. Nach Behebung der monierten Punkte wurde der Mahnbescheid am 28.01.2022 erlassen und am 01.02.2022 zugestellt. Zwischen der Beanstandung und der Verbesserung liegt also ein Zeitraum von weniger als einem Monat, so dass die Hemmungswirkung des § 214 Abs. 1 Nr. 3 BGB gem. § 167 ZPO bereits zum 31.12.2021 eingetreten ist, mit der Folge, dass die Ansprüche des Klägers nicht verjährt sind.
Ein weitergehender Anspruch folgt auch nicht aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, der grundsätzlich neben einem Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO in Betracht kommt.
a) Der Verstoß gegen die in Deutschland unmittelbar anwendbare DS-GVO stellt auch eine Amtspflichtverletzung dar, nämlich eine Verletzung der Pflicht zu gesetzmäßigem Handeln (vgl. Dörr, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, Stand 01.08.2022, § 839 BGB Rn. 142).
b) Ein Amtshaftungsanspruch wegen einer Verletzung des hier allein als verletztes Rechtsgut in Betracht kommenden Persönlichkeitsrechts kann auch die Zahlung einer Entschädigung in Geld für immaterielle Nachteile zum Inhalt haben. Eine derartige Geldentschädigung ist jedoch nur zu gewähren, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht handelt und die erlittene Beeinträchtigung sich nicht auf andere Weise befriedigend ausgleichen lässt. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen und hängt insbesondere von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH, Urteil vom 23.10.2003 - III ZR 9/03, juris Rn. 44). Insoweit kommen letztlich dieselben Gesichtspunkte zum Tragen wie bei der Bemessung des Anspruchs nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO. Danach liegt eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung allerdings nicht vor. Der einmalig eingetretene Kontrollverlust über Gesundheitsdaten, die lediglich einer, zur Verschwiegenheit verpflichteten Person, die schon eine gewisse Vorkenntnis hatte, bekannt gemacht wurden, rechtfertigt ohne das Hinzutreten weiterer konkreter Beeinträchtigungen nicht die Annahme einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers.
c) Der Anspruch scheitert entgegen der Auffassung des Landgerichts hingegen nicht an § 839 Abs. 3 BGB. Denn der Amtshaftungsanspruch wird nicht auf die Ablehnung des Wechselwunsches durch das RPS gestützt, sondern auf die Weiterleitung der Email und die damit einhergehende Verarbeitung von Gesundheitsdaten des Klägers. Eine Abwendung des Schadens durch Rechtsmittel war insoweit nicht (mehr) möglich.
Ebenso wenig greift entgegen der Ansicht des beklagten Landes die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB. Hinsichtlich der vom RPS weitergeleiteten E-Mail konnte der Kläger eben keinen Ersatz von seinem damaligen Arbeitgeber erlangen.
5. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 1 BGB.
6. Das beklagte Land schuldet dem Kläger nicht den Ersatz der verlangten vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten.
Für die Geltendmachung einer Gebühr für vorgerichtliche anwaltlichen Tätigkeit ist erforderlich, dass eine vorgerichtliche Tätigkeit ernsthaft stattgefunden hat und nicht nur das gerichtliche Verfahren angestrebt wurde (vgl. BGH NJW-RR 2021, 1070). Ansonsten ist die Tätigkeit als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit anzusehen und mit der Verfahrensgebühr abgegolten. Vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens wurde aber zu keinem Zeitpunkt ein entsprechender Anspruch gegenüber der Beklagten geltend gemacht. In den Akten befindet sich lediglich ein Schreiben an das RPS, in welchem Akteneinsicht begehrt wurde (Anlage K 3.1, B. 17 f. LGA). Ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren besteht daher nicht.
III.
Die Kostenentscheidung für beide Instanzen folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
IV.
Da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die maßgeblichen Rechtsfragen geklärt sind und es nur um die Beurteilung im Einzelfall geht, besteht kein Grund i.S.d. § 543 ZPO für die Zulassung der Revision.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren hat ihre Grundlage in §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO.